Mal wieder das Alter, auch für A.S.

Sitze bei einem meiner sehr guten Freunde auf der Terrasse (er schäft), rauche ne Cigar und nippe ein bisschen vom schottischen Whisky. Für Oktober ein wunderschön milder Abend um 22 Uhr. Mein Sohn schläft oben, wir sind hier zu Besuch, morgen wollen wir in den Zoo, soll einer der schönsten Deutschlands sein. Der Kleine hat Heimweh, jetzt schon, am ersten Abend. Wenn das eigene Kind weint, zerreißt es dir fast das Herz. Ich hielt mich von Anfang an an die drei Z. Zeit – Zuneigung – Zärtlichkeit. Und davon so viel wie möglich. — Mich beschäftigt immer häufiger das Alter. Das Altern. Die Veränderung des Körpers, der Seele, des Geistes. Die Veränderung des Bewusstseins. Ich fühle mich ziemlich klar, auch wenn ich was getrunken habe. Ich fühle mich sicherer in der Sprache als noch vor ein paar Jahren. Ich mag mich. Ich mag das Leben, immer mehr. Ich mag es, zu genießen. Das pure Leben, aber auch die Genussmittel, und ich bin froh, dass es da noch einiges gibt, was ich genießen darf. Allerdings habe ich mich bei einem Anti-Rauch-Kurs angemeldet. Allein kriege ich es nicht hin. Ich habe ja schon mal 16 Monate aufgehört, und dann bin ich los, ganz klar im Gedanken, mir eine Zigarre zu gönnen. Ich wollte. Jetzt qualme ich schon wieder über drei Jahre. Ganz ehrlich – ich höre auf, weil ich mir das Rauchen nicht leisten kann. Ich rauche saugern, aber natürlich viel zu viel. Ich bin wieder süchtg geworden. Ich kann nur ganz aufhören oder gar nicht. Einmal die Woche ne Zigarre, das schaffe ich leider nicht. Wenn ich also eines Tages reich sein sollte, sieht man mich rauchen. Meiner Frau ist das zuwider, sie hasst den Geruch, für sie Gestank. Mein Sohn mag den Duft erst recht nicht. Aber mir gelingt es nicht, für sie aufzuhören, es geht nur für mich selbst. Im Dezember höre ich also auf. Für eine Zeit zumindest. Ich rauche erst wieder, wenn ich einen Bestseller gelandet habe. Und zwar werde ich dann beim Schreiben in meiner Schreibwohnung rauchen. Dieser schöne Traum ist noch lange nicht erloschen. Ich arbeite hart daran. — Das Alter … Alles ändert sich, alles verändert sich. Freunde wenden sich ab, wir wenden uns von Freunden ab, die uns überdrüssig geworden sind. Manchmal tut es uns leid, manchmal ist es für alle Beteiligten das Beste. Neue Menschen bilden einen neuen Kreis, oder werden im alten, was aber meist schwierig ist, eingeschlossen. Manch einer stirbt auch. Er kann niemals ersetzt werden. Ich arbeite gerade daran, einen neuen Menschen kennenzulernen, Herr Z. nenne ich ihn mal, er ist 98, wurde 1920 geboren. Wir haben vor, gemeinsam ein Buch zu verfassen. Es wird viele Treffen brauchen, bis ich genug Material zusammenhabe. Und es ist gar nicht so einfach, die richtigen Fragen zu stellen, ich bin ja kein Journalist.   Bis jetzt mache ich das intuitiv. Ich darf unsere Gespräche aufnehmen, und ich müsste viel mehr Zeit investieren. Aber wir haben beide viel vor, es ist gar nicht so einfach, passende Termine hinzubekommen. Jedes Treffen ist ein Geschenk. Hätte ich jetzt also einen Verlag, der mich fördert, der mir einen Vorschuss zahlt, würde ich meinen neuen Job wieder aufgeben. Mit Herrn Z. ein Buch fertigzustellen, ist eine riesige Herzensangelegenheit. Es wäre zu schade, würde seine Geschichte im Niemandsland, wie Milliarden andere, verschwinden. Sie ist es wirklich wert, aufgeschrieben zu werden. Herr Z. hat sich mit 93 ein E-Bike gekauft, seit anderthalb Jahren fährt er nun mit einem elektrischen Vierrad (ich weiß gerade nicht, wie die Dinger heißen). Er fährt allein einkaufen, schreibt keinen Einkaufszettel, schaut vorher in die Schränke, was fehlt. Im Winter werde ich ihm behilflich sein. Wenn er denn möchte. Ich werde ihn zu mir nach Hause einladen, bei uns ist Leben in der Bude. So eine einmalige Chance werde ich nie wieder bekommen, das ist mir klar. Ich werde mir Tipps von ein paar Journalisten geben lassen, wie ich am besten vorgehen kann. So fünf bis zehn Faustregeln brauche ich. Mein anderes Buch soll aber auch nicht auf der Strecke bleiben. Bleibt es aber seit ca. 3 Wochen, weil mir die liebe, liebe Zeit fehlt. Ich habe eine Agentur in Hamburg angeschrieben, werde noch einen letzten Brief hinschicken, fahre Anfang November in meine Lieblingsstadt und hoffe auf ein persönliches Gespräch. Klappt es nicht, werde ich eine Agenur in Berlin anrufen, die keine unverlangten Manuskripte entgegen nimmt. Ich muss die Chefs am Telefon von meinen Projekten überzeugen. Hab ich schon geschrieben? Dann entschuldigt bitte. Ich weiß nie, was ich im letzten Blog getippt habe. Schreibt man ein Buch, sollte dies auch unbedingt an einem Stück geschehen. Jetzt, nach drei Wochen Pause, muss ich alles noch mal lesen, um den Anhang gut hinzukriegen. Warum kann die Schreiberei nicht mein Beruf sein? Ganz einfach – weil ich mit ihr kein Geld verdiene. Aber Geld brauchen wir. Das Brot muss bezahlt werden. Für F 25 leiht mir meine Mutter tausend Euro, dafür bekomme ich vielleicht 120 Bücher. Gewinn etwa 4 Euro pro Exemplar. Dann gehen die Steuern ab. Ihr könnt rechnen. Und das klappt nur, weil Jean, mein lieber Grafiker, mit einem Rumpsteak und einem Besäufnis einverstanden ist. Er sagt, er glaubt an mich. Ihr wisst, wie gut das tut, wenn an einen geglaubt wird. Ich glaube sowieso an mich. Und ich glaube, dass ich eine Agentur, die mich an einen Verlag vermitteln wird, finden werde. Gebt mir 10.000 Vorschuss und ich liefere in den nächsten zwei Jahren zwei neue Bücher. Wenn also einer von euch Geld zu verleihen hat, bitte, hier bin ich. Aber das allein bringt es auch nicht. Dann habe ich vielleicht das Geld, muss mich aber um den ganzen Scheiß der Vermarktung selbst kümmern. Dann bleibt wieder das eigentliche Arbeiten, die Herzensangelegenheit, auf der Strecke. Glück allein reicht nicht, das habe ich inzwischen gelernt. Man muss was können. Egal, was man macht, es sollte so makellos wie möglich am Ende sein. Der Lektor muss es schaffen, die makellose Perfektion hinzukriegen. Doppelt gemoppelt. Macht nix. Rausgeben, dann das nächste Projekt. Da ich nächstes Jahr 50 werde, bleibt mir nicht mehr ganz so viel Zeit. Alles baut ab. Die Zeit rennt unaufhaltsam dem Ende entgegen. Ich schreibe seit 30 Jahren, habe schwächer als schwach angefangen, wenn ich die ersten Sachen lese, schäme ich mich. Wie konnte ich so ein Zeug nur losschicken? Und so krankhaft davon überzeugt sein!? Ich möchte mit Marius und Udo sprechen, wie sie mich in all den Jahren gesehen haben, in denen ich ihnen so krankes Zeug zugeschickt habe. Eines habe ich gewiss gelernt: Man lernt immer dazu. Aus Fehlern lernt man am meisten. Sollte man jedenfalls. Ja, sollte man. Immer auf dem Teppich bleiben. Bescheiden sein, wenn es geht. An sich glauben aber auf jeden Fall. Immer. „Und dann kommst du aus der Provinz, und wenn auch jeder sagt, du spinnst, du wirst es genau so bringen … mach dein Ding …“ Als ich das erste Mal dieses Lied gehört habe, dachte ich, das ist für dich geschrieben. Dass es nachher sder Oberknaller wurde, konnte keiner ahnen. Udo und Marius und Otto, die in einer WG lebten, waren noch ganz jung, als sie den Durchbruch hatten. Ich hätte in dem Alter damit nicht umgehen können. Aber jetzt ist es an der Zeit. Jetzt könnte ich auch normale Gespräche mit Udo und Marius führen. Ich weiß mich auszudrücken. Es wäre zu schade, wenn einer von uns den Löffel abgibt, ohne dass wir uns kennengelernt haben. Na ja, wenn ich der Erste bin, der geht, okay, damit kann ich leben. Aber wenn Udo jetzt auf einmal tot wäre, wäre das für mich ein Drama. Dann blieben so viele Fragen unbeantwortet. Mir hat mal eine Kartenlegerin gesagt, zwei Männer spielen in meinem Leben eine wichtige Rolle. Klar – Marius und Udo. Sie hat auch gesagt, dass ich sehr, sehr reich werde. „Das weiß ich“, war meine Antwort. Ich kann mich noch an ihren Blick erinnern. Ich war damals etwa 22 Jahre alt. Ich würde mir nie wieder die Karten legen lassen. Da ist was dran. Eine Kartenlegerin hat mir verweigert, mir zu sagen, was sie gesehen hat. Sie konnte es nicht. Es war zu schrecklich. Sie war fassungslos. Das war auch etwa in jener Zeit. Und es ist seitdem wirklich ne Menge passiert. Suzidversuch, sechs Psychosen, Hausbrand … Und das Leben ist noch nicht zu Ende. Ein Hellseher hat mir damals gesagt, ich könne viel mehr sehen, würde ich meine damalige Freundin verlassen. Ich habe sie irgendwann verlassen, und das, was ich gesehen habe, ist ein Geschenk für ein ganzes Leben. Ich bin dankbar, dass ich in Welten schauen durfte, die den meisten Menschen verwehrt bleiben. Wirklich, ich bin dankbar, dass ich diese interessante Krankheit, die sich schizoaffektive Psychose nennt, durchleben durfte.  Ich kann mich so sehr über Kleinigkeiten freuen. Über einen Geruch, eine Blume, einen Windhauch. Und wie sehr kann ich mich erst über große Sachen freuen: Über meine Frau, meinen Sohn! Ich freue mich über ein neues T-Shirt, eine Hose, ein Auto … Mehr als über das Haus, in dem ich wohne. Ein T-Shirt ist irgendwie persönlicher, finde ich, du trägst es auf deinem Leib. Aber ich gönne mir kaum etwas, weil mein Geld für Zigarren draufgeht.

Dabei belasse ich es für heute. Es ist 23 Uhr. Ich trinke jetzt noch einen Schluck, lege mich dann zu meinem Sohn und lese noch ein paar Seiten Moby Dick.

Gute Nacht   !